Tuesday 24 March 2020

Die rote Stadt Zusatzinfos, Teil 6: Deutsche in der Conquista

Ulrich Schmidl




      Auch wenn die Eroberung Südamerikas durch das Spanische Reich zentral gesteuert wurde (was  den Zugang für Nichtspanier erschwerte) gab es doch immer wieder Soldaten, Händler, Abenteuerer aus aller Herren Länder - in der Roten Stadt kommen Deutsche und Italiener vor. In diesem Beitrag werde ich mich auf Deutsche konzentrieren.
     Wie Anna, die Hauptfigur meines Romans, waren diese in der Regel Landsknechte, angeheuerte Söldner. Dazu gehören etwas der Bayer Ulrich Schmidl, einer der Mitgründer von Puerto de Nuestra Señora Santa María del Buen Ayre, heute besser bekannt als Buenos Aires, oder der Hesse Hans Staden, der hauptsächlich in Brasilien war und dort in die Gefangenschaft bei den einheimischen Tupinambás geriet. Beide, Schmidl und Staden, haben nach ihrer Rückkehr aus Südamerika Reisebeschreibungen veröffentlicht, aber es war vor allem Stadens Warhaftige Historia und beschreibung eyner Landtschafft der Wilden Nacketen, Grimmigen Menschfresser-Leuthen in der Newenwelt America gelegen, die - ab der zweiten Auflagen mit sehr publikumswirksamen Illustrationen des belgischen Kupferstechers Theodore de Bry versehen - zu einem riesigen
Illustration zur Wahrhaftigen Historia von de Bry
 Publikumserfolg wurde. Sie prägte jahrhundertelang das Bild Südamerikas in Europa, vor allem durch die Zeichnungen de Brys (der aber nie in Südamerika war). Historiker und Anthropologen schätzen Stadens Buch bis heute als unersetzliche Quelle für die Kultur der Tupinambás - ziehen aber die erste Auflage vor, deren Illustrationen zwar nicht so professionell, dafür aber genauer und sachlicher sind als die von de Bry.
    Auch Anna liest Stadens Buch und wird dadurch inspiriert, ihre Heimatstadt zu verlassen.




        In der frühen Geschichte Chiles gibt auch solche Figuren, über die man allerdings nicht sehr viel weiß, weil sie nichts Schriftliches hinterlassen haben. Da wäre zuerst Bartolomé Flores aus Nürnberg (ca 1505-85), über dessen Jugend so gut wie nichts bekannt ist, noch nicht einmal sein genauer Name, nur daß es etwas mit "Blum(e)" gewesen sein muß. Besser bekannt ist sein Werdegang in Südamerika, wo er sich zuerst in der Karibik und später in Peru und Chile betätigte. Er gehörte zu Valdivias Eroberungstrupp in Chile (siehe den ersten Beitrag dieser Reihe) und erhielt als Belohnung erstklassige Ländereien in und um die Neugründung Santiago. Später heiratete er Elvira, die Tochter eines lokalen Kaziken, was das Paar zu bedeutendsten Grundbesitzern dieser Zeit in Chile machte. Als ausgebildeter Zimmermann baute und betrieb er die erste (und auch die zweite) Mühle in Santiago, was ihm eine Monopolstellung verschaffte. Seine Ländereien lagen größtenteils im heutigen Stadtgebiet, es überrascht also nicht, daß sich davon nichts erhalten hat. Es existiert meines Wissens nach auch kein Portrait von ihm. Er starb 1585 in Santiago als einer der reichsten Männer der neuen Kolonie. Seine älteste Tochter Águeda heiratete einen gewissen Pedro Lisperguer.
       Dieser war gebürtig aus Worms und hieß urspünglich Peter Lißberger (1517-1604), war allerdings bereits als Kind an den Hof des Kaisers Karl I. gelangt und macht doch eine beachtliche Höflingskarriere. Er war bei der Hochzeit von Philipp II. von Spanien und Maria von England (ältere Schwester von Elizabeth I. und bekannt als Maria die Blutige) anwesend und ging später nach Südamerika, wo er an Eroberungszügen teilnahm und beträchtliche Reichtümer anhäufte (die sich durch seine Heirat mit Águeda Flores noch vergößerten). Er besaß Land im heutigen Peru, Chile und Argentinien, war zeitweise Bürgermeister von Santiago und hatte verschiedene Funktionen am Hof des Vizekönigs in Lima (wo er auch starb).
       Der dadurch entstandene Klan der Lisperguer-Flores war wirtschaftlich und politisch für mehrere Jahrhunderte in Chile sehr mächtig (der Familienbesitz
Das Buch, mit dem alles begann (wikipedia)
umfaßte Mitte des 17. Jahrhunderts wohl 300 000 Hektar), brannte sich aber durch etwas anderes in das kollektive Bewußtsein der Chilenen ein: Hexerei, Mord und Totschlag (und mit diesen Leuten legt sich Anna in meinem Roman beinahe an!).
      Die Enkelin von Pedro Lisperguer und Urenkelin von Bartolomé Flores, Catalina de los Ríos y Lisperguer, genannt La Quintrala, ihrerseits die reichste Frau ihrer Zeit, ist heute die bekannteste Figur der Kolonialepoche, und zwar als Hexe, Giftmischerin und sadistische Mörderin (bereits ihre Mutter und Tanten sollen Hexen und Giftmörderinnen gewesen sein). Es ist in Chile nicht selten, daß Mörderinnen in der Presse als "Quintrala" bezeichnet werden. Dieser Teil der Familiengeschichte geht auf das 1872 erschienene Buch Los Lisperguer y la Quintrala des Historikers Benjamín Vicuña Mackenna - das Titelblatt der Erstausgabe (links) gibt eine gute Vorstellung vom Ton des Buchs.
     Heutige Historiker bemängeln, daß Vicuña Mackenna ein bißchen frei mit seinen Quellen umgeht und Schlüsse zieht, die die (spärlichen) erhaltenen Dokumente schlicht nicht hergeben. Vielmehr ergäben sie das Bild einer sehr reichen und mächtigen Frau, die im Dauerkonflikt mit der katholischen Kirche lebte, aber keinesfalls jemand, der halb Santiago auf dem Gewissen hat.
   So oder so, Vicuña Mackennas Darstellung war so einflußreich, daß sie bis heute das Bild der Chilenen von ihrer frühen Geschichte prägt und die Erinnerung an diese Abenteurer lebendig hält.

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